Schweizer Premiere im Biogassektor: In Tuttwil bei Wängi wird die erste landwirtschaftliche Feststoffvergärungsanlage realisiert. Sie entsteht im Zusammenhang mit dem Neubau eines grossen Trutenmaststalls. Die Inbetriebnahme ist per Juli geplant.Heidi und Kolumban Helfenberger bewirtschaften zusammen mit zwei Lernenden und einem Mitarbeiter einen 50-Hektar-Ackerbau- und Milchwirtschaftsbetrieb. Als Ergänzung kommen nun ein Trutenkombimaststall für über 4000 Tiere und eine Biogasanlage hinzu. Nach gut zweijähriger Planungsphase haben jüngst die Bauarbeiten begonnen. «Wir bauen diese Biogasanlage aus Überzeugung», unterstreicht Helfenberger. Für ihn war schon früh klar, dass er den anfallenden Mist energetisch verwerten wollte und eine Feststoffvergärungsanlage auf seinem Betrieb Sinn macht. Ausschlaggebend gewesen war für den früheren Kantonsrat das 2013 veröffentlichte Biomassekonzept Thurgau, das die Möglichkeiten der Biomasse als Energieträger skizzierte und auch die Förderpolitik des Kantons bestimmte.

Dünger, Strom und Wärme

Die Biogasanlage, die auf ein Jahresvolumen von 2500 Tonnen ausgelegt ist, wurde von der Renergon International AG aus Lengwil im Thurgau entwickelt. «Damit führen wir nicht nur eine neue Generation von Biogasanlagen im Markt ein, es handelt sich auch um die erste landwirtschaftliche Anlage dieser Art», erklärt Renergon-Präsident Karl-Heinz Restle.In einem zweiphasigen Prozess, als «Renergon Simultaneous Digestion» (RSD) bezeichnet, wird sowohl in der Fermenterbox als auch im Perkolattank durch mitgeführte lösliche Stoffwechselprodukte Biogas gebildet. Gegenüber konventionellen Flüssiganlagen hat diese Technologie wesentliche Vorteile. Sie garantiert vor allem eine hohe Störstoffunempfindlichkeit und trägt so zur hohen Prozessstabilität bei. «Die Vergärung ist stabil und geruchsarm, und die Gärreste sind schliesslich als wertvolle organische Dünger mit einer hohen Nährstoffverfügbarkeit verwendbar», unterstreicht Restle den Kreislaufgedanken. Dazu kommt die energetische Ausbeute in Form von Wärme und Strom, die in einem kleinen Blockheizkraftwerk erzeugt werden.

Potenzial für 100 Anlagen

In der neuen Biogasanlage der Familie Helfenberger wird vor allem der anfallende Mist aus der Rindviehund Trutenhaltung verarbeitet. Es ist auch denkbar, Pferdemist aus umliegenden Stallungen energetisch zu verwerten. Die Technologie kann grundsätzlich ebenso Grüngutabfälle oder Ernterückstände verarbeiten. Das breite Spektrum an Einsatzstoffen erhöht das Potenzial der neuartigen Biogasanlage. Restle schätzt, dass allein im Thurgau etwa 100 RSD-Anlagen betrieben werden könnten.

Antragsteller sieht Potenziale

Der Fischinger CVP-Kantonsrat und Landwirt Josef Gemperle, der mit seinem Vorstoss das Biomassekonzept Thurgau angestossen hatte, sieht beträchtliche Chancen in der Biogas-Nutzung. Welche Überlegungen führten zum 2013 veröffentlichten Biomassekonzept Thurgau? Josef Gemperle: Es lagen Pläne für den Bau einer sehr grossen Biogasanlage in Weinfelden vor. In dieser Situation kam Karl-Heinz Restle mit der Bitte auf mich zu, seine Argumente anzuhören. Für uns war klar, dass eine grosse zentrale Anlage im Bereich der Biomasse nicht die Zukunftslösung sein konnte, sondern im Gegenteil, wegen der weiten Transporte von Co-Substraten und deren Abzug aus den Regionen, die wichtigen dezentralen Anlagen in Zukunft behindern würde. Aus dieser Diskussion heraus habe ich beschlossen, im Parlament zu beantragen, für den Thurgau ein Biomassekonzept zu erarbeiten. Dabei habe ich darauf spekuliert, dass eine genaue Lagebeurteilung die Akteure auf den richtigen Pfad bringen könnte. Dies ist ja dann auch eingetroffen. Sie betreiben selber eine Biogasanlage für flüssigen Hofdünger. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Anlage läuft einwandfrei, auch die vielen innovativen Elemente bewähren sich bestens. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Anlage auch mindestens kostendeckend betreiben können. Wann macht eine Feststoffvergärungsanlage grundsätzlich Sinn? Feststoffvergärung macht meines Erachtens Sinn, wenn Grüngut gesammelt und verarbeitet wird oder praktisch keine Gülle anfällt, sondern grösstenteils Mist. Allerdings ist es entscheidend, dass demnächst in der Ostschweiz ein Projekt realisiert wird, damit im praktischen Betrieb die Machbarkeit bewiesen werden kann. Der Kanton vergibt Investititionsbeiträge, sind dann andere Förderungen ausgeschlossen? Dadurch werden andere Förderungen nicht absolut ausgeschlossen, die Details sind im aktuellen Förderprogramm online ersichtlich. Wieviele Anlagen könnten im Thurgau Sinn machen? Ich bin nicht Ingenieur und will hier keine absoluten Zahlen nennen. Das Potenzial ist aber sicher beträchtlich, wenn die erste Anlage erfolgreich betrieben werden kann und die Rahmenbedingungen günstig sind.